Eine verdrehte Welt betrachten
Bei der 31. Ausgabe führt das FIFF in der Kategorie Passeport Suisse den neuen Preis Auslandsvisum ein. Dabei geht es um Kurzfilme, die im Rahmen der Ausbildung der Schweizer Filmhochschulen gedreht wurden. Bewertet werden sie von den Gästen der Sektion Neues Territorium, die in diesem Jahr aus Nepal kommen. Der Süden taxiert also den Norden. Endlich einmal. Deshalb schlagen wir vor, die Welt auch in den anderen Sektionen zu «verdrehen».
Eine verkehrte Welt, das ist Nepal aus der Sicht von Nepalesen, ohne Klischees. Zum ersten Mal auf diesem Planeten, der trotz allem immer kleiner zu werden scheint, richten wir den Fokus auf diese aufkeimende Filmkultur. Eine verkehrte Welt, das ist die verspätete Würdigung von Freddy Buache als Löwe des Schweizer Filmarchivs, als Vater aller Kinofans unseres Landes. Eine verkehrte Welt, das ist der Fokus auf jene Kulturen, die ohne Tabus über Tod und Geister sprechen. Eine verkehrte Welt, das sind auch die amerikanischen Meisterwerke der 50er- und 60er-Jahre, die uns, durch die Stimme von Douglas Kennedy, trotz ihres Alters noch etwas über Donald Trump zu sagen haben. Die verkehrte Welt, das ist die Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazin Bilan Myet Zaki, die in Diaspora ihre Carte Blanche überraschenderweise für ägyptische Komödien zieht, welche alle vor dem abgewürgten Arabischen Frühling gedreht wurden. Eine verkehrte Welt, das ist auch das Kino selbst, dieses «Blut der Völker», wie es afghanische Filmfreunde in einer Dokumentation nennen, die in der Sektion Entschlüsselt läuft. Diese Kategorie ist in diesem Jahr der fundamentalen Wende gewidmet, die sich seit dem Verschwinden der Filmrolle und der Digitalisierung in der Kunst der bewegten Bilder vollzieht. Was wird aus ihr werden? Und was aus uns?
Vergessen Sie die die Gesetze der Schwerkraft! Das FIFF macht weiter, ohne Kompromisse, mit Stärke und Leidenschaft, obwohl wir angesichts des unglaublichen Erfolgs (13.000 mehr Zuschauer in nur 4 Jahren!) vor immer grösseren Herausforderungen stehen und auch auf immer mehr Unterstützung angewiesen sind. Trotzdem werden wir da sein, um Sie in die Schwerelosigkeit zu führen und Ihre Gewissheiten durcheinanderzuwirbeln. Denn so gehört es sich für ein Festival, das etwas auf sich hält: Unsere wichtigste Funktion sollte es sein, uns niemals auf Gewissheiten auszuruhen, sie im Gegenteil zu hinterfragen und zu destabilisieren, damit sich, wenn immer möglich, unerwartete Wege öffnen können.
Thierry Jobin